Haus Bolcieniki
Bolcieniki, Kreis Lida, und das Nebengut Brarzelce, Kreis Nowogrodek, also beide nicht weit von Wilna, sind 1723 durch die Ehefrau des Truchseß von Livland Lorenz (polnisch: Wawrzyniec) mit einer geborenen v. Schrötter (polnisch: Szretter) in unsere Familie gekommen.
Lorenz a. d. H. Wollin und sein Bruder Georg-Dietrich, der Stammvater der deutschen Freiherren wurde, hatten in den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts den ausgedehnten Besitz des damals erlöschenden sogenannten "Kurländischen Asts" (aus der Linie Kleschinz-Damerkow) mitsamt des diesem 1682 verliehenen Reichs-Freiherrentitels übernommen. Von den ursprünglich über das Baltikum und das angrenzende litauische Gebiet verstreuten Besitzungen dieses Astes waren um 1700 allerdings nur noch die in der Nähe von ''Wilna gelegenen litauischen (polnischen) übrig, nämlich Gotcieniszlei, Poszokornie, Greze und Summy.
Schon in der ersten Generation der Besitzer a. d. H. Wollin kamen, wie gesagt, Bolcieniki und Brarzelce hinzu, im Laufe des 18. Jahrhunderts dann das in derselben Gegend gelegene Uniechtna. Ferner gehörten diesem Hause vorübergehend auch Besitze im Gouvernement Minsk, Skirmuntyszki und Blonie. Gojcieniszki mit einem burgartigen Schloß ging etwa 1780 als Heiratsgut einer Tochter an die Osten-Sackens.
Auf welche Weise, wohl schon etwas früher, Greze und Summy verlorengingen, konnte nicht festgestellt werden. Brarzelce und Uniech6w, beide im Kreis Nowogrodek, mußten Ende des 19. Jahrhunderts verkauft werden. Dagegen wur den etwa 1890 zwei neue Güter in diesem Kreise erworben: Rajca und Korelicze. Beide blieben, ebenso wie Bolcieniki, bis zum Einmarsch der Roten Armee 1939 im Besitz der Familie.
Größe 1939: Bolcieniki 900 ha; Rajca 650 ha; Korelicze 1000 ha.
Letzte Besitzerin war 1923-1939 Gräfin Janina (1889-1968), seit 1910 verheiratet mit Graf Adam Zoltowski. Mit ihrem Tode ist das gräfliche Haus Bolcieniki erloschen.
Das Haus Bolcieniki betrachtete sich mindestens seit der Mitte des 18. Jahrhunderts als polnisch. Nach den Teilungen Polens richtete sich sein Nationalgefühl gleichermaßen gegen Preußen und Rußland. Da das Gebiet um Wilna aber unter russischer Herrschaft stand, haben die Angehörigen dieses Hauses im 19. und 20. Jahrhundert auch in russischen Diensten gestanden. Seit 1802 führten sie unbeanstandet einen russischen Grafentitel.
Die Beziehungen zu den deutschen Vettern rissen so gut wie ab. Aber das Haus Bolcieniki blieb sich trotzdem seiner deutschen Abstammung bewußt und in seinen männlichen Gliedern der protestantischen Konfession treu; Ehefrauen und Töchter waren seit 1821 katholisch. Das Gefühl einer Zugehörigkeit zu der fremd gewordenen Gesamtfamilie war sogar so weitgehend erhalten, daß die letzte Besitzerin wenige Jahre vor dem Zweiten Weltkriege, also in einer Zeit aus gesprochen schlechter Beziehungen zwischen Deutschland und Polen, daran dachte, einen deutschen Puttkamer für die übernahme des Besitzes und des Grafentitels zu adoptieren.
Der polnische Botschafter in Berlin war bereits eingeschaltet. Materialien: Bolcieniki und die zuletzt noch vorhandenen anderen Güter dieses Hauses hat die letzte Besitzerin, Gräfin Janina, in ihren Memoiren geschildert. Von den vier Bänden ist der erste und für die Besitzgeschichte interessanteste Band als Buch erschienen und befindet sich im Besitz von Ellinor a. d. H. Versin. (J anina z Puttkamer6w Zoltoiuska: "Inne czasy, inne ludzie" [Andere Leute, andere Zei ten], London 1959.)